Spielzeug und Spiele in unserer Kinderzeit
Wir Mitglieder des Zeitzeugenkabinetts haben in den vergangenen zehn
Jahren viele Ereignisse der erlebten Geschichte aus unserem Gedächtnis
hervorgeholt und zu Papier gebracht. Mit den folgenden Aufzeichnungen
-besonders für unsere Enkel und Urenkel-
möchten wir als Gruppe darüber berichten, womit wir in unserer Kindheit
gespielt und wie wir unsere Freizeit verbracht haben. Als wir noch
Kinder waren, etwa in den Jahren 1930 bis 1950 gab es noch keine
Fernsehempfänger, Computer und funkferngesteuerte Modellautos. Wenn
damals auch viele Kinder weit mehr Pflichten für das Leben der Familie
zu erfüllen hatten, als die Kinder in unserer Gegenwart, so blieb
dennoch auch für uns noch Zeit zum Spielen.
Das „Spielalter“ der Mitglieder unserer Gruppe ist geschichtlich in den Zeitraum von 1930 bis 1950 einzuordnen.
Spielzeug und Spiele in unserem Vorschulalter
Im o.g. Zeitraum änderte sich das Spielzeug für Vorschulkinder in Bezug
auf Form und Farbe; seine pädagogische Funktion blieb im Wesentlichen
unverändert. Es diente dem Beschreiben von Bildern und Gegenständen,
ihrem Ordnen und Fügen, dem üben von Geduld und Geschicklichkeit und
der Vorbereitung auf den Schulunterricht. Anfang der dreißiger Jahre
kamen erste aus Blech geformte Fahrzeuge mit Federantrieb auf den
Markt, die besonders für Jungs gedacht waren. Für sie wurde nach dem
Jahr 1933 auch zunehmend Spielzeug mit militärischem Charakter
angeboten. Dagegen gehörte nach alter Tradition das Spielen mit Puppen
und der Puppenstube und später auch mit dem Kaufmannsladen zum Ressort
der Mädchen.
In den genannten Jahren war es üblich, einen Teil des Spielzeugs in der
Familien selbst herzustellen. Großeltern, Eltern und auch ältere Kinder
fertigten Wagen, Schaukelpferde, Wiegen, Puppenkleider ... selber an
und verschenkten sie in der Familie zu Geburtstagen oder zum
Weihnachtsfest.
Zu den Spielzeugen unserer Altersgruppe gehörten :
- Bilderbücher und Bücher zum Ausmalen
- Baukästen mit Holzklötzchen zum Bau von Häusern, Türmen und Brücken
- Mosaikbaukästen; mit Bildteilen beklebte Würfel, die geordnet, 6 Bilder ergaben
- Holzkreisel mit Peitsche zum Starten und Antreiben
- Tiere auf der Weide, Pferdegespanne mit Wagen, Eisenbahnen aus Holz
- Teddybären, Puppen, Puppenstube, Puppenbett
- Schaukelpferd und Gartenschaukel
- Feuerwehrautos aus Holz
- Gegenstände aus der"Eigenschöpfung" der Kinder waren u.a:
o Fahrradfelge mit Stock zum Vorwärtstreiben
o Kinderwagenrad mit hervorstehendem Nagel im Radlager und Schiebestock
o Spielen mit Gras- und Strohhalmen, Blumen, Schnecken und Kaulquappen
o Bau von „Wasserleitungen" aus Blumenstängeln des Löwenzahns-(Hundeblume)
o Spielen am Dorfbach mit "Booten" aus Holz und Papier
o Bau von Dämmen und Wasserrädern mit oder ohne "Hammerwerke"
Die "Eigenschöpfungen" wurden oft für Wettbewerbe untereinander eingesetzt.
Spiele in der Familie und mit Freunden
- Würfelspiele (Mensch ärgere dich nicht, Halma, Mühle . . .)
- Spiele um das Erkennen von Farben (Ich sehe etwas, was du nicht siehst . . .)
- Verstecken, rund ums Haus
- Räuber und Gendarm, mit Zündblättchenpistole
- Mutter, Vater und Kind (ein Familienspiel)
- Seifenblasen Pusten
Spielzeug und Spiele in der Altersgruppe von 6 bis 10 Jahren
In dieser Altersgruppe setzte sich die geschlechtsspezifische Trennung des Spielzeuges für
Jungs und Mädels fort. Die Jungs wurden in ihrer Mehrzahl spielend auf einen künftigen
technischen Beruf und auch auf ihre Zukunft als Soldat vorbereitet. Die Mädels durften sich in
die Rolle als künftige Mütter und tüchtige Hausfrauen "hinein" spielen. Wir Kinder diesen Alters
standen unter dem erzieherischen Einfluss der Schule. Wir wurden politisch belehrt und waren
in den Kriegsjahren durch das Sammeln von Altstoffen und Heilkräutern in die Kriegswirtschaft
einbezogen.
Bis 1945 wurde die unterschiedliche Entwicklung von Jungen und Mädchen durch Trennung
der Geschlechter beim Schulbesuch beeinflusst.
Beliebte Spielzeuge waren:
- Märklin- oder Trixbaukästen; es waren preiswerte und fast gefahrlose Metallbaukästen
zum eigenständigen Bau von Kränen, Brücken, Fahrzeugen . . . Sehr begehrt war dafür ein
kleiner Elektromotor, der mit einer 4,5V Flachbatterie betrieben wurde.
- Bedruckte Musterbögen aus Zeichenkarton, aus denen, an den Winterabenden, mit
Schere und Leim kleine Häuser, Laternen, Adventskalender und Fensterschmuck fürs
Weihnachtsfest gebastelt wurden
- Stickkasten und "Strickliesel" für Mädchen
- Puppen zum Windeln (die älteren Mädchen mussten sich bereits an der Pflege ihrer
kleinen Geschwister beteiligen!)
- Handpuppen, der verhängte Tisch wurde zur Bühne fürs Kasperletheater
- Mundharmonika oder Blockflöte
- Soldaten aus Pappmaschee
- Geschütze zum Verschießen von Erbsen
- Korkflinte, als Geschoss diente ein Kork
- Zündplättchenpistole mit 100-Schuss-Rolle
- Flugkreisel; ein Propeller wurde mit einer Teleskop-Spindel in Drehung versetzt und erhob
sich, wie ein Hubschrauber, in die Luft
- Bombenflugzeug mit Propeller und Federantrieb, an der Decke hängend warf es mit
Zündblättchen geladene Bomben ab
- Panzer mit Federantrieb und Gummiketten, sprühte Feuer mittels Feuerstein
- Spielzeug aus Eigenschöpfung: Speer, Pfeil und Bogen, Drachen, Wurfpfeil mit Peitsche
- Besonders für Mädchen - Papierpuppen zum Ankleiden
Spiele in der Schulpause
- Fuchs aus der Höhle (ein Kind spielte den Fuchs, der, wenn er gereizt wurde, auf einem
Bein aus der Höhle sprang, wer von ihm berührt wurde, war der nächste Fuchs )
- Hasche (ein Kind war der Haschmann; der Erste, den er berührt hatte, musste haschen)
- Schneeballschlacht
- Hopsspiele wie Zahlenhopse, Himmel und Hölle
- Fadenabheben mit Wollfaden oder Gummiband (besonders bei Mädchen beliebt)
Spiele in der Familie und mit Freunden
- Kartenspiele (Schwarzer Peter, Langes Leben ...)
- Würfelspiele (Mensch ärger dich nicht, Halma, Mühle ...)
- Spiel um Namen von Ländern, Städten, Blumen u.a.
- Hütchenspiel (kleine Hütchen wurden mit einer Wippe auf Ziele eines Spielfeldes
geworfen, die Treffer wurden analog einer Schießscheibe bewertet)
- Abzählreime
- Murmelspiele
- Ballspiele
- Turnen an Teppichstangen
- Tiere sammeln (Maikäfer)
Spielzeug und Spiele in unserem Alter von 10 bis 14 Jahren
Das Leben der Kinder veränderte sich in der Zeit des Nationalsozialismus (1933 - 1945). Seit
dem Jahr 1936 waren Kinder ab ihrem 10. Lebensjahr zum "Dienst" im Jungvolk bzw. bei den
Jungmädels verpflichtet. In jeder Woche hatten sie sich an einem Nachmittag -in Uniform-
zu irgend einem Dienst einzufinden, der nach militärischen Regeln im "Heim", auf dem
Sportplatz oder im "Gelände" stattfand. Zu diesem "Dienst" gehörten einige Interessensgebiete,
die auch für unsere spätere Entwicklung nützlich sein konnten, z.B.:
- Körperertüchtigung und gesunde Lebensweise
- der Erwerb von Kenntnissen auf dem Gebiet der Topografie
- das Lernen des Morse-Alphabets und der Morse-Technik
- der Flugmodell- und Schiffsmodellbau
- das Spielen im Fanfaren- oder Schallmaienzug
- das Bauen einfacher Zelte aus Zeltbahnen
- Handarbeitszirkel für Mädchen, wo vorrangig für Frontsoldaten gewerkelt wurde
Viele Kinder dieses Alters mussten auch in der Familie umfangreichere Pflichten erfüllen.
Sie hatten Aufgaben des Vaters zu übernehmen, der im Krieg war oder bereits "für Führer,
Volk und Vaterland gefallen" war, sie hatten die Mutter im Haushalt und bei der Pflege der
jüngeren Geschwister zu unterstützen und -auf dem Lande- den Bauern bei der Ernte zu
helfen.
Die älteren Kinder transportierten schwere Gegenstände zur Altstoffsammelstelle, sie
sammelten Heilkräuter zur Versorgung der Verwundeten, sangen für die Verwundeten in den
Lazaretten, fertigten kleine Geschenke, adressiert "An einen unbekannten Soldaten" an und
brachten -gegen Ende des Krieges- die Flüchtlinge mit ihrer restlichen Habe in ihre
Unterkünfte.
In den Jahren nach dem großen Krieg gingen viele Stadtkinder mit ihren Müttern aufs Land,
um sich dort etwas Essbares zu erbetteln oder auf dem Stoppelfeld mühselig zu suchen.
Aus dem Spielen wurde für die älteren Kinder, die den Krieg erlebten, zunehmend ernste
Arbeit, die auch den Schulunterricht belastete.
Dennoch nutzten wir auch damals die verbliebenen Möglichkeiten zum Spielen. In den letzten
Kriegs- und den ersten Nachkriegsjahren gab es aber kaum Spielzeug für ältere Kinder zu
kaufen
Unsere Spielzeuge waren deshalb:
- Die vorhandenen oder von älteren Geschwistern übernommenen Metallbaukästen, die uns
zu schöpferischen Eigenkonstruktionen anregten.
- Die von älteren Gesclwistern übernommene spiritusbeheizte Dampfmaschine.
- die Laubsäge und andere Werkzeuge zur Holzbearbeitung, mit denen wir auch, im
Rahmen von Auktionen der "Winterhilfe", für die Kinder des Ortes Spielzeug herstellten.
- das Fahrrad, meistens Vaters altes Rad, das von uns selber repariert und fahrbereit
gehalten wurde.
Wir lasen die Bücher von Karl May und die Werbehefte der Kriegsberichterstatter, viele
Märchen und Sagen sowie die "Mädchenbücher" unserer Mütter (Nesthäkchen, Goldköpfchen).
Unser wachsendes Interesse galt dem Eigenbau von Spielzeug.
Dazu gehörten:
- Drachen,
- Flugpfeile, die mit einer Peitsche in die Luft geschleudert wurden.
- Katapulte, gebastelt aus Wäscheklammer und Einkochglasring oder Astgabel und
Fahrrradschlauchstreifen. Mit ihnen schossen wir auf Konservendosen und Flaschen.
- Aus Ebereschen-, Haselnuss- oder Weidenästen gebaute Bögen.
- Im Frühjahr aus Holzzweigen gebastelte Pfeifen mit verstellbarer Tonlage.
- Stelzen, nach dem Beispiel der früheren Werber für Nigrin-Schuhcreme.
- Wasserräder, die am nahe gelegenen Bach aufgebaut wurden.
- Schiffsmodelle und Flugmodelle, verbunden mit längerer, viel Geduld erfordernder
Bastelarbeit mit Leisten Sperrholz, Pergamentpapier und Spannlack.
- lenkbare "Rennwagen", mit Achsen und Rädern von Kinderwagen.
- elektrische Schaltungen aus altem Elektromaterial, unter Nutzung der
Taschenlampenbatterie oder eines Klingeltransformators.
Spiele in der Schulpause und im Jungvolk
- Völkerball, zwei Mannschaften bewerfen sich mit dem Ball, der Getroffene, der ihn nicht
fangen kann, scheidet aus.
- Fußball,
- 25 Bauernmädchen suchen sich einen Mann.
- "Schinkenklopfen",
- Geländespiele, Spähtrupp, Anfertigen topographischer Skizzen.
- Schießen mit dem Luftgewehr.
- Schnipseljagd und Verfolgungslauf mit Skiern.
- Musizieren im Fanfarenzug als Bläser oder Trommler.
- Bau von Schutzhütten im Wald.
Spiele in der Familie und mit Freunden
In der Familie:
- Spiele um das Wissen der Namen von Ländern, Städten und Titeln von Liedern
- Würfelspiele, Halma, Dame und Mühle
- Gemeinsames Basteln von Weihnachtsschmuck mit den Eltern
- Reisespiele mit der Landkarte
Mit Freunden:
- Spielen mit der elektrischen Eisenbahn
- Zielschießen mit dem Katapult oder Pfeil und Bogen (Flitzbögen)
- Bau von Schneemännern, Schneehöhlen und Schneeburgen
- Fuchsjagd mit Skiern, Verfolgung von Spuren im Schnee
- Ausgraben von Mäusenestern auf dem Stoppelfeld
Schlussbemerkungen zum Thema "Spielen" in den Jahren
1930 bis 1950
- Das uns Kindern geschenkte Spielzeug entsprach -auch aus Kostengründen- immer
unserem Alter und musste handhabbar sein. Spielzeug zum Hinstellen wurde sehr schnell
uninteressant.
- Das Spielzeug der Mädchen animierte, stärker als das der Jungs, zum sozialen Rollenspiel
in der künftigen Familie.
- Technisches Spielzeug kam verbreitet erst Anfang der dreißiger Jahre in den Handel. Es
wurde erst dann stärker gekauft, als es preiswert genug war. Deshalb hatten auch nur
wenige Kinder eine elektrische Eisenbahn.
- Im Jahre 1933 setzte unter dem Einfluss der Nationalsozialisten auch die Militarisierung in
den Spielwarengeschäften ein.
- Das rückläufige Angebot an Spielwaren in den Kriegsjahren aktivierte wieder die
"Eigenproduktion" in den Familien.
- Im Krieg organisierten das Jungvolk und die Jungmädel die Herstellung von Spielsachen
für den allgemeinen örtlichen Bedarf durch die älteren Kinder.
- Unsere Eltern hielten den Umfang ihrer Geschenke an Spielsachen in Grenzen. Weniger
bedeutete mehr! - Das für sich selbst gebastelte Spielzeug hatte für die Kinder einen hohen Rang, es
förderte ihre geistige Kreativität, ihr Urteilsvermögen und handwerkliches Geschick.
- Bei günstigem Wetter spielten die Kinder überwiegend außerhalb der Wohnung, im Freien.
Das Spielen war dort immer mit körperlicher Bewegung verbunden.
- Die Möglichkeiten und das Interesse am derartigen Spielen wünschen wir auch unseren
Enkeln und Urenkeln, als Start für ihre vielseitige Entwicklung im späteren Leben.