Dresden
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Wohnbiographien / Genossenschaftliches Wohnen
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Das Genossenschaftswesen im Selbsthilfeprinzip
Das Genossenschaftswesen in Dresden im Selbsthilfeprinzip
Die Stadt nach 1945 (Alle für einen, einer für alle)

Dresden war eine der wenigen Städte in Deutschland, die bis zum Jahresbeginn 1945 von einer Zerstörung durch alliierte Bomberverbände relativ verschont blieb. Erst die verheerenden Flächenbombardements im Februar 1945 hatten für die Stadt katastrophale Folgen. Die Zerstörung der Stadt vollzog sich letztlich innerhalb von drei Monaten. Die ungeheuren Schäden, die durch die Bombardements entstanden, betrafen in erster Linie das Stadtzentrum und die dicht besiedelten Wohngebiete in der Neustadt, der Südvorstadt und Johannstadt und zogen sich in südöstlicher Richtung bis nach Gruna hin. Von den etwa 222.000 Wohnungen, die Dresden bis Ende 1944 hatte, waren 75.000 total zerstört.
Schwer getroffen waren 7.000 und leicht getroffen 81.000.
Somit haben lediglich etwa 48.000 Wohnungen, dies entspricht etwa 21% des ehemaligen gesamten Wohnungsbestandes, die schweren Bombenangriffe unbeschädigt überstanden. Vergleicht man nun die Einwohnerzahlen Dresdens in den entscheidenden Jahren von 1939 bis 1945, so ergibt sich folgendes Bild:
1939 hatte die Stadt 630.216 Einwohner, Ende 1944 waren es 566.738 Einwohner. Im April 1945 waren es nur noch 368.519 Einwohner.
Insgesamt verlor die Stadt durch Evakuierung, Flucht, Deportation und Luftangriffe 41,5% seiner Bewohner.
Durch die am 1. Juli 1945 erfolgten Eingemeindungen der Albertstadt, von Dölzschen, Gittersee und Roßtal (denen 1950 weitere Gemeinden folgten), ließ die Stadt im Mai 1945 auf 397.676 Einwohner ansteigen. Ein Vergleich dieser Zahlen mit den o.g. Zerstörungen lässt die Wohnungsnot in der Stadt erkennen. In dieser prekären Lage war es daher notwendig, den noch vorhandenen Wohnraum gerecht und gleichmäßig zu verteilen. Auf einer Sondersitzung des Stadtrates am 5. Januar 1946 wurde festgestellt, dass das Wohnungsamt in kürzester Zeit für 100.000 Menschen Wohnraum schaffen musste. Die wichtigste Aufgabe war daher die Wiederherstellung und Sicherung der beschädigten Wohnungen.
Es gelang bis Dezember 1945 etwa 5.000, der leicht beschädigten und etwa 3.000 der weniger schwer beschädigten Wohnungen notdürftig instand zu setzen. Diese Leistung kann nicht hoch genug eingeschätzt werden, wenn man bedenkt, dass die gesamten Bau-Hilfsarbeiten von Frauen erledigt wurden, da sich die Männer zum größten Teil in Kriegsgefangenschaft befanden. Bis zum Ende des Jahres 1945 war man damit beschäftigt, die Trümmermassen im Bereich der Hauptstraßen und den wichtigsten Verkehrswegen zu beseitigen. Diese Arbeiten der Flächenenttrümmerung und die gewaltige Aufgabe der Gebäudeinstandsetzung gestalteten sich besonders schwierig, wenn man bedenkt, dass der Stadt Anfang 1946 äußerst bescheidene technische Möglichkeiten zur Verfügung standen. Für diese Arbeiten standen den Menschen in der Mehrzahl lediglich Lokomotiven mit 11 bis 50 PS bzw. kleine Dampflokomotiven Baujahr 1905 zur Verfügung. Bedenkt man, dass zu Beginn des Zweiten Weltkrieges alle im zivilen Bereich genutzten LKW und PKW, soweit sie für militärische Zwecke eingesetzt werden konnten, requiriert wurden, lässt sich ermessen mit welchen Schwierigkeiten die Menschen in der Stadt zu kämpfen hatten. Diese Arbeiten der Flächenenttrümmerung konnten unter diesen erschwerten Bedingungen, erst im Jahre 1958 weitgehend abgeschlossen werden. Doch viele der einzelnen Ruinengrundstücke konnten erst in den Folgejahren geräumt werden.

Am 5. Januar 1946 wurde durch den 1. Bürgermeister Walter Weidauer ein offener Wettbewerb für den „Großen Dresdner Aufbauplan“ ausgeschrieben, in dem Vorschläge zum Wiederaufbau eingebracht werden sollten. Bei den Bewohnern der Stadt fand diese Aufforderung eine außerordentliche Resonanz und reichte von engagierten Briefen von normalen Bürgern bis hin zu Bebauungsvorschlägen und städtebaulichen Lösungen renommierter Architekten. Die keiner Wertung unterliegenden Ergebnisse wurden am 20. Juli 1946 in der Ausstellung „Das neue Dresden“ in der ehemaligen Stadthalle am heutigen Olbrichtplatz gezeigt. Die vorgestellten Ideen waren in jeder Hinsicht mit denen anderer deutscher Städte vergleichbar.
Neben den eher als phantastisch zu bezeichnenden Vorstellungen, war aber auch vordergründig die Suche nach einem Kompromiss zwischen tradierter- und moderner Bauweise vorrangig. Dem Aufbauwillen der Dresdner stellten sich aber im Frühjahr 1946 fast unüberwindliche Hemmnisse entgegen.
In der Ratsitzung am 15. Mai 1946 musste Stadtbaurat Dr. Conert feststellen, dass sich die Lage für die Bauwirtschaft drastisch verschärft habe. Obwohl bei der Planung bereits 25% des Bauvolumens für Arbeiten der Sowjetischen Besatzungsmacht in Betracht gezogen wurde, hatten Demontagen von Baustoffbetrieben und Kohlenmangel in den noch bestehenden Betrieben schwerwiegende Folgen. Das führte zu einem katastrophalen Rückgang der Zementlieferungen nach Dresden. Waren es noch 3 000 Tonnen im März 1946, so sanken sie auf 875 Tonnen im April und schließlich nur noch 270 Tonnen im Mai.
Die Folge war, dass der Rat der Stadt eine Bausperre verhängen musste, um wenigstens wichtige Verkehrsprojekte wie den Bau der Albertbrücke abzuschließen. Der Wiederaufbau von dringend benötigten Wohnungen konnte kaum noch fortgesetzt werden.
Folgt man den Ausführungen in der Schriftenreihe der Akademie der Künste, so lässt sich für die Jahre 1945/46 folgende Ausgangsposition für Dresden feststellen: „Im Gegensatz zu den westlichen Besatzungszonen, wo sich schon bald nach Kriegsende jene maßgebenden Planer als Fachleute wieder zu Wort meldeten, die zuvor in prominenten NS-Planungsstäben, beispielsweise in Albert Speers Planungsstab, dessen Umfeld oder auch anderen bedeutsamen Architekturbüros nationalsozialistischer Institutionen tätig gewesen waren, hatten sie in der sowjetischen Besatzungszone kaum Möglichkeiten, derart planerisch tätig zu sein“.

Die Gründungsjahre der Wohnungsgenossenschaften in Dresden

Mit dem Jahr 1954 wurde ein genossenschaftlicher Wohnungsbau unter proletarischem Vorzeichen ins Leben gerufen. Der neue Staat DDR hatte mit der Schaffung rechtlicher Grundlagen für den genossenschaftlichen Arbeiterwohnungsbau – AWG, den Gedanken von Eigenverantwortung und Selbsthilfe aufgegriffen, der sich schon seit der Jahrhundertwende in einer Vielzahl von Wohnungsgenossenschaften manifestiert hatte. Jetzt sollten Volkseigene Betriebe die Initiatoren und Träger des neuen genossenschaftlichen Gedankens sein.
Im April 1954 gründete sich im Sachsenwerk Niedersedlitz zunächst eine Betriebs - AWG, die später mit ihrem Namen in vielen Teilen der Stadt Dresden tätig war. Der Anfang lag in Leuben. Gegenüber dem dortigen Rathaus erhielt die Sachsenwerk – AWG Gelände von der Stadt zugeteilt.
Mit dem symbolischen ersten Spatenstich am 8. Juni 1954 für 18 Wohnungen wurde die Lilienthalstraße Dresdens erste AWG Baustelle. Im Herbst des gleichen Jahres schreibt der AWG – Vorsitzende Karl Rimmelspacher in einem Tätigkeitsbericht: "Viele Dinge mussten getan werden, die uns völlig neu waren. Da ging es um die Eröffnung eines Bankkontos, das Anlegen einer Mitgliederkartei, den Abschluss von Bauverträgen, die Beratung von bautechnischen Angelegenheiten usw., so dass es des Lernens bis heute kein Ende hat. Eine Anleitung dazu gab es nicht, so haben wir uns mit mancherlei arg herumgeschlagen.“ Es nötigt uns heute noch den größten Respekt ab, wenn vor diesem Hintergrund am 27. November 1954 das erste Richtfest gefeiert werden konnte und sich die neue AWG für das kommende Jahr mit 36 Wohnungen das doppelte Bauprogramm vornahm. Zum 13. Februar 1956 vermeldete die Betriebszeitung des Sachsenwerkes bereits stolz die nächsten Erfolge mit dem ersten bezogenen Wohngebäude sowie der im Ausbau befindlichen Wohnzeile an der Hetzstraße. An der Lilienthalstraße war schon die nächste AWG – Baugrube zu sehen. Zwischenzeitlich hatten sich die Interessenakzente verschoben.
Ein weiterer maßgeblicher Trägerbetrieb der Genossenschaft war der VEB Bau (St) geworden.
über diesen städtischen Baubetrieb, der in Striesen angesiedelt war, erschlossen sich 1958 Möglichkeiten des schnelleren Bauens mit den ersten Vorhaben der aus Trümmersplitt gefertigten Großblöcke. Typen – Bauten an der Dinglingerstraße in der Johannstadt bildeten den Beginn zentrumsnahen Bauens. Hier in Johannstadt – Striesen entstanden die ersten AWGs Baunachbarschaften, so auch eine zweite Ursprungsgenossenschaft. Ihr Gründer Karl Horst Büttner erinnert sich: „Ich war Maschineneinsteller im Schreibmaschinenwerk und las in der Zeitung, dass die Wohnungsnot durch „AWGs“ beseitigt werden soll. Als ich meinen Betriebdirektor danach befragte, war er dafür, aber darum kümmern sollte sich wer anders. Die Gewerkschaft im Betrieb war hilflos. Ich holte mir daher an verschiedenen anderen Stellen Informationen zu den Grundmodalitäten. Schnell merkte ich: „Wenn das etwas werden soll, dann musst du das selbst in die Hand nehmen.“ Büttner ging aufs Ganze, und ließ beim Rat der Stadt des Bezirkes die AWG „Eiserner Wille“ registrieren, obwohl die vorgeschriebene Anzahl von 35 Mitgliedern mit unterzeichneter Beitrittserklärung noch nicht erreicht war. Die Beitrittserklärung zu unterschreiben bedeutete damals die Zustimmung zum Finanzierungsbeitrag von 2.500 Mark und die Bereitschaft zur Ableistung von rund 700 Stunden in Eigenleistung beim Bau. Bei Büttner war der Wille dafür vorhanden, und die anderen riss er mit. Vom Direktor seines Betriebes bekam er nun auch viel Unterstützung. Bald waren an der Lipsiusstraße, Henzestraße, Comeniusstraße und Dinglingerstraße die ersten Häuser gebaut, nachdem dort zunächst der Baugrund zu enttrümmern war. Die Genossenschaftlerin Hilde Koch erinnert sich:
„Damals war es ein großes Glück und ein Geschenk des Himmel, dass ich im November 1958 eine Wohnung auf der Lipsiusstraße 3 bekam. 39 schöne Jahre haben wir dort gewohnt. Meine Erinnerungen an die Anfangsjahre sind sehr schön. Waren wir doch alles Kollegen aus dem Schreib- und Nähmaschinenwerk. Wir waren alle jung und nach einiger Zeit waren es 20 Kinder im Haus.“ Im äußersten Norden der Stadt hatte sich 1956 die AWG Sächsischer Brücken- und Stahlhochbau gegründet. An der Entstehungsgeschichte dieser weiteren Ursprungs – AWG und an die ständige Anfangsnot auf dem Bau, soll eine kleine Bauepisode erinnern. Sie verdeutlicht zugleich das besondere Engagement des Trägerbetriebes. Der damalige stellvertretende Werkstättenleiter des VEB SBS Heinz Leuchte beschreibt das Entstehen des AWG – Hauses Schweizstraße 4 – 6 in Kleinschachwitz u.a. so: „Als der Baubetrieb die Fundamente fertiggestellt hatte, fehlten die Fertigteil – Kellerfenster, die damals bereits zum Einsatz kamen. Der Bau kam ins Stocken. Als wir bei der zuständigen Firma Löser in Dresden vorsprachen, stellte sich heraus, dass die Firma keinen Stahl für die Bewehrung hatte. Unser Betrieb hatte zu dieser Zeit auch keine Möglichkeit, solche Bewehrungsstähle zu beschaffen. Da das Baugeschehen alle Kollegen des Betriebes erfasst hatte, wurden wir auf ein Bündel Stahldraht aufmerksam gemacht, das auf dem Lager der Montageabteilung schon seit dem Krieg lagerte. Der Rostklumpen schien aber nicht mehr verwendungsfähig. Da machte unser Werkzeugschmied den Vorschlag, den Bund auf einen Bahnmeister zu laden, das eine Ende am Prellbock anzubinden und das andere mit dem Dieselkran zu recken. Das waren für uns Aufzugbauer spanische Dörfer, aber es gelang. Nach einem Rostfeuerwerk war der Bund auf einer Länge von etwa hundert Meter zwar zwei Millimeter dünner, aber außer den verbliebenen Rostnarben stahlblau geworden. Der Bau konnte weitergehen, wieder war ein Engpass überwunden.“

Effektive Zusammenschlüsse:

Effektiver wurde die Arbeit in den einzelnen AWGs erst durch die Nutzung neuer rechtlicher Möglichkeiten. 1957 waren die AWG Dresdener Lehrerschaft und die AWG Rat der Stadt des Bezirkes Dresden gegründet worden. Auch sie hatten im Gebiet um die Dinglingerstraße, Stephanienstraße und Wallotstraße Baugrundstücke von der Stadt zugewiesen bekommen. Da alle die AWGs über unterschiedliche Möglichkeiten der zu erbringenden Eigenleistungen verfügten, war ein Zusammengehen geradezu geboten. Aus einer anfänglichen Arbeitsgemeinschaft „Aufbau“ wurde durch den Beschluss einer gemeinsamen Delegiertenkonferenz fünf Dresdner AWG zum April 1959 die Groß „AWG Aufbau Dresden“ gebildet.

Resultat dieser gemeinsamen Anstrengungen ist, dass Dresden mit Stand vom 31. Dezember 2006 insgesamt 18 Wohnungsgenossenschaften mit einem Bestand von 62.099 der 293.330 Wohnungen in der Stadt hat. Das bedeutet, dass sich in Dresden 21,3 Prozent der Wohnungen in genossenschaftlichem Eigentum befinden.