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Spielzeug und Spiele zwischen 1930 und 1950
Spielzeug und Spiele zwischen 1930 und 1950

Einleitung
Unser Zeitzeugenkabinett an der Dresdner Seniorenakademie wurde im Jahre 1996 durch Frau Edelgard Geiger gegründet. Die Mitglieder unserer Gruppe waren -und sind- lebenserfahrene Menschen im Alter zwischen 69 und 85 Jahren. Mit ihrem Wissen, und besonders mit ihren Erinnerungen, sorgen sie seit 13 Jahren für Gesprächsstoff und sie verfassten bisher 170 Berichte über selbst erlebte Ereignisse und Entwicklungstrends in Politik, Kultur, Bildung und Sozialwesen.
Zur Aktivierung unserer Tätigkeit führen wir häufig Themendiskussionen durch. Dabei unterbreitete zu Beginn des vergangenen Jahres Frau Stephan den Vorschlag, darüber nachzudenken, womit wir in unserer Kindheit gespielt haben. Dieser Vorschlag fand grundsätzliche Zustimmung, denn zur Freizeitgestaltung unserer Enkel und Urenkel werden in unserer Gruppe schon oft kritische Meinungen geäußert.

Ziel der Arbeit
Das Ziel unseres Bemühens konnte aber nur darin bestehen, das Spielzeug und die Spiele unserer Kindheit, ohne pädagogische Bewertung, verbal zu erfassen und grob zu beschreiben. Wir waren uns dessen bewusst, dass auf diesem Gebiet bereits vor rund 200 Jahren solche namhaften Pädagogen, wie z.B. Pestalozzi und Fröbel, Pionierarbeit geleistet haben. Ihnen und den späteren Fachleuten der Pädagogik und Kinderpsychologie konnten wir nicht den Rang ablaufen. Wir wollten uns auch auf die Zeitspanne des bewussten Spielens im Kindesalter beschränken und uns von den Reaktionsweisen der Kleinkinder und auch vom Spielverhalten der Jugendlichen abgrenzen.

Methodik
Einer gründlichen Diskussion bedurfte das methodische Vorgehen. Bisher schrieb in unserer Gruppe jeder für sich allein seine eigenen Erinnerungen auf, Vorgaben über Inhalt und Darstellungsweise gab es bei uns nicht. Nach dieser für Zeitzeugen üblichen Praxis wäre es kein Problem gewesen, dasselbe auch zum Thema "Kinderspielzeug" zu tun. Das wäre aber nur für die eigene Familie von Interesse gewesen. Wir wollen aber der Nachwelt -u.a. in Person des Stadtarchives- möglichst allgemeingültige Aussagen über unsere Vergangenheit überlassen. Aus der Sicht von uns 10 Mitstreitern war es aber fraglich, ob -und wie- es uns gelingt, das Typische für das Spielen der Kinder in der Zeit von vor 60 bis 80 Jahren zu beschreiben. Das war, zumindest annäherungsweise, nur durch Kollektivarbeit möglich. Den Begriff der "statistischen Sicherheit“ gebrauchte schon -vorsichtshalber- keiner von uns. Natürlich sprachen wir auch über das "Wenn und Aber“ so einer breiteren Nutzung und Verwertung. Eine Veröffentlichung für die später Geborenen würde eine Neubearbeitung unter pädagogisch-psychologischen Aspekten, umfangreichere Beschreibungen und eine gute Bildgestaltung erfordern. Unsere Gruppe wäre damit aber inhaltlich, technisch und finanziell überfordert.

Vorgehen
Wir entschlossen uns wie folgt vorzugehen:
Um eine breitere Basis zu finden, bezogen wir in unsere Stoffsammlung auch unser Wissen über das Spielzeug und die Spiele der Schulfreunde, der Nachbarkinder und der Verwandten ein. Wir mussten auch methodisch eine Reihe von Besonderheiten beachten.
    Dazu gehörten:
  1. Die Eltern haben immer -auch aus Kostengründen- das Spielzeug den altersbedingten Voraussetzungen der Kinder angepasst.
      Für unsere Stoffsammlung unterschieden wir deshalb drei Altersgruppen:
    • Vorschulalter
    • 6 bis 10 Jahre
    • 10 bis 14 Jahre
    • Diese Gruppierung entspricht unseren Erfahrungen über das typische altersabhängige Spielverhalten der Kinder. Die Grenzen sind natürlich fließend.
      Nur ein Spielzeug erwies sich als fast altersunabhängig: der Ball, aber nur wenig Kinder hatten einen Ball aus Leder.
  2. Die Kinder sollten sich schon frühzeitig auf ihre künftige soziale Funktion in der Familie "einspielen". Entsprechend dem erwünschten Rollenspiel gab es -und gibt es bis in unsere Gegenwart- Spielzeug für Jungs und solches für Mädchen.
  3. Besonders in den früheren Jahren verbanden sich mit dem Leben in Stadt und Land unterschiedliche berufliche Perspektiven und unterschiedliche Entwicklungsbedingungen die sich auch im Spielen zeigten (Eine weitere Auffächerung, z.B. nach Stadtzentrum und Stadtrand, wäre gewiss zu begründen, wir verzichteten aber darauf).
  4. Das käuflich erworbene Spielzeug unterlag auch in unserer Kindheit dem Einfluss des technischen Fortschritts, aber auch der Einflussnahme durch das herrschende politische System.
  5. Die Ausstattung der Kinder mit teurem Spielzeug war auch in den früheren Jahren vom Einkommen der Eltern und von der Wertung desselben durch die Eltern abhängig. Die Rolle des Spielens als erste aktive Lebenstätigkeit des Menschen war nur wenigen Menschen voll bewusst, auch nicht allen der wohlhabenden Eltern.
Wir begannen mit der individuellen Faktensammlung, gegliedert nach Altersgruppe und Geschlecht und erweiterten die Einzelbeiträge in der Gruppendiskussion. Zwei Mitglieder unserer Gruppe, Frau Stephan und unsere Protokollantin, Frau Scherf, übernahmen die Auswertung und Zusammenfassung. Die zuletzt genannten Besonderheiten wurden, soweit wie möglich, berücksichtigt.

Diskussion
In unserer Diskussion wurden auch wesentliche Unterschiede zwischen dem Spielzeug und dem Spielen von „Gestern und von Heute“ sichtbar.
  1. In den Jahren unserer Kindheit gehörte Spielzeug -neben Kleidung, Sportartikeln, Süßigkeiten etc.- zu den Geschenken. Geschenke gab es fast nur zu Weihnachten und den Geburtstagen, und immer in einer bescheidenen überschaubaren Menge.
    (Ich behaupte: Das Wenige wog mehr!)
  2. Spielzeug wurde nicht nur gekauft, es wurde in den Familien auch selbst hergestellt.
    Auch die älteren Kinder waren am „Basteln" von Spielzeug für die jüngeren Geschwister beteiligt. Selbst gefertigte Geschenke hatten in den Familien einen hohen Rang.
    In den Kriegsjahren musste, mangels Angebot im Handel, ein größerer Teil des Spielzeugs selbst hergestellt werden. Das Jungvolk und die Jungmädel (die damaligen Gliederungen der Hitlerjugend) organisierten die Herstellung von Spielzeug für die kleineren Kinder des Ortes.
  3. In den Großfamilien, besonders auf dem Lande, waren es die Großväter und Großmütter, die ihren Enkeln den sachgemäßen Umgang mit Werkzeugen oder das Stricken und Häkeln beibrachten. Besonders an den Winterabenden spielten aber auch die Eltern mit ihren Kindern (sie hatten keinen Fernsehapparat, der sie daran hinderte).
  4. Soweit es das Wetter zuließ, spielten die Kinder im Freien. Infolge der höheren Kinderzahl in den Familien waren sie dort auch selten allein, die Kleinen lernten von den Großen.
    Das Spielen war auch überwiegend mit körperlicher Betätigung verbunden. Körperliche Fitness bestimmte damals entscheidend die Lebenstüchtigkeit der Menschen.
    Der Zeitanteil für das körperlich aktive Spiel war in unserer Kindheit wesentlich höher als bei unseren Urenkeln.
  5. Die Kinder wurden nicht nur mit neuem Spielzeug beschenkt. Sie bekamen auch instand gesetztes und "aufpoliertes“ Spielzeug, das sie selbst oder die älteren Geschwister bereits verwendet hatten. Manche der dauerhaften Spielzeuge, wie z.B. Schaukelpferde oder Puppen, wurden über mehrere Generationen weitergereicht.
  6. Besonders auf dem Lande nutzten die Kinder beliebig vorhandene Stoffe zum Spielen. (Kieselsteine, Gräser und Stroh, ...)
  7. Die älteren Kinder wurden spielend in ihren künftigen Beruf geführt und durften sich, wenn das möglich war, zu Hause schon praktisch betätigen. Wenn die Mutter nicht anwesend war, dann galt die älteste Tochter als Mutters „Stellvertreterin".

Unser Spielzeug im Vorschulalter
In unseren Kinderjahren, etwa zwischen 1930 und 1950, änderte sich das Spielzeug für Vorschulkinder im Wesentlichen nur im Design, also in Form und Farbe. Seine pädagogische Funktion blieb unverändert. Es diente dem Beschreiben von Bildern und Gegenständen, ihrem Ordnen und Fügen, dem Üben von Geduld und Geschicklichkeit und der Vorbereitung auf den Schulunterricht.
Schon im Vorschulalter gab es Spielzeug für Mädchen und Jungs.
Typisch für Mädchen waren: Puppen, Puppenstube und Puppenwagen
und für Jungs: Pferd und Wagen, Feuerwehrauto, Holzbaukasten und -zum Kuscheln– der Teddybär.
Auf dem Spielplatz im Freien -das war gewöhnlich der Hof- spielten Jungs und Mädels dieser Altersgruppe gemeinsam. Sie spielten: Verstecken, Ich sehe etwas was du nicht siehst, Seifenblasenpusten oder sie kreiselten und murmelten. Soweit vorhanden spielte man auch im Sandkasten.

Erste Eigenschöpfungen
Schon mit zwei oder drei Jahren suchten sich die Kinder ihr besonderes Spielzeug. Es waren Küchengeräte oder auch Muttis Knopfkiste.
Jungs wie Mädchen hatten ihre Freude am Vorantreiben einer Fahrradfelge mit einem Stock oder am "Schieben" und „Dirigieren" eines Kinderwagenrades (geschoben mit einer Rute an einem Nagel in der Nabe).
Solche Eigenschöpfungen waren beliebter als Figuren (Tiere oder Soldaten), die man nur hinstellen aber nicht handhaben konnte. Auch in den späteren Jahren konnten wir z.B. mit einer kostspieligen Burg wenig anfangen.

Am Rande sei vermerkt: Kinder spielten auch gern dort, wo es ihnen verboten war: am Dorfbach, mit "Booten“ aus Holz und Papier oder auf der Straße mit dem Roller, dem Handwagen oder Rodelschlitten.

In der Wohnung begann man mit einfachen Regelspielen, wie z.B. "Mensch ärgere dich nicht“ oder mit Spielkarten z.B. "Schwarzer Peter“, aber auch mit dem Kaufmannsladen.

Die Gleichberechtigung endete beim Rollenspiel "Vater, Mutter und Kind". Der "Vater" war immer ein Junge und die "Mutter" war das älteste Mädchen.

Typisches Spielzeug und Spiele in der Altersgruppe von 6 bis 10 Jahren
In dieser Altersgruppe änderten sich, ähnlich wie heute, die äußeren Bedingen für das Spielen. Neue Möglichkeiten für lehrreiches Spielen
Seit Anfang der dreißiger Jahre ermöglichte das die technischen Entwicklung.
Politischer Einfluß auf das Spielen
Mitte der dreißiger Jahre verstärkte sich der politische Einfluss auf das Spielen der Kinder.
Die Beschäftigung mit Puppen entsprach voll der politischen Perspektive der Mädchen, denn sie sollten tüchtige deutsche Mütter und deutsche Frauen am deutschen Herd werden. Der große Führer brauchte die Jungs vor allem als tapfere Soldaten. Deshalb sollte geeignetes Spielzeug die politische Erziehung in der Schule, und später in den Gliederungen der Hitlerjugend, ergänzen.
Zu dieser Art des Spielzeugs gehörten: Soldaten, Säbel, Korkflinte, Zündplättchenpistole, Panzer mit Gummiketten, Bombenflugzeuge . . . und auch die Sanitätertasche.
In die Spielzeuggeschäfte kamen nach Kriegsbeginn kleine Hefte, die in Wort und Bild über die Helden des Krieges informierten. Solche Namen, wie Prien, Rudel und Mölders waren den Schulkindern gut bekannt und die Frontberichterstatter schrieben auch für Kinder, natürlich aus der "vordersten Linie".

Die Eigenschöpfungen
In der Altersgruppe 6 - l0 Jahre entstanden unter Verwendung eines Taschenmessers: Speer, Pfeil und Bogen, Drachen oder Wurfpfeile mit Peitsche.
Wir schnitzten im Frühling aus den saftigen Zweigen der Esche kleine Pfeifen und die Geschicktesten unter uns schnitzten sogar kleine Flöten. Wer musikalisches Talent hatte, der konnte bald „Hänschen klein" - mit der Mundharmonika oder mit der Blockflöte spielen.

Auf dem Schulhof fanden in den Pausen schöne Bewegungsspiele statt.
Zu Spielzeug und Spielen in der Altersgruppe 10 bis 14 Jahre
In den Jahren des 2. Weltkrieges stand das Spielen, wie kaum in einer anderen Generation, unter dem Zwang dieser Zeit.
Spielen älterer Kinder
Trotz vieler Verpflichtungen spielten auch die älteren Kinder. Die Jungs bauten weiterhin mit ihren Metallbaukästen und wenn sie Glück hatten, bekamen sie dann den Ergänzungskasten mit Elektromotor. Die Mädchen betätigten sich im Handarbeitszirkel und "produzierten" dort Strümpfe und Müffchen, für sich selber oder fürs Feldpostpäckchen an den Vater oder Bruder.

Großes Interesse fand unter den 10- bis 14-jährigen Kindern der Eigenbau von Spielzeug und Gebrauchsgegenständen. In regelrechten Modetrends entstanden:
In den Schulpausen
Im Jungvolk bzw. den Jungmädels spielten wir:
Spiele mit Eltern und Freunden
Auch die älteren Kinder spielten mit ihren Eltern die bekannten Würfel- und Regelspiele.
Einen Bildungseffekt hatte auch das Städte- und Länderraten. (Nach einem genannten Anfangsbuchstaben des Alphabets waren Länder oder Städte zu nennen).
Effektiv waren auch die Reisespiele anhand der Landkarte (Für ein vorgegebenes Reiseziel war der Reiseweg zu bestimmen).

Mit Freunden verfolgten wir im Schnee die Fuchsspuren oder wir bauten Schneemänner und Schneehöhlen.
Wir veranstalteten auch Zielschießen mit dem Bogen oder dem Katapult und machten Turnübungen und Klimmzüge an der Teppichstange.
Interessant war das gemeinsame Spiel mit der elektrischen Eisenbahn, die damals nur wenige Kinder besaßen.

In der Altersgruppe der 10 bis 14- Jährigen vereinten sich wieder Jungs und Mädchen zum gemeinsamen Spielen. Durch den gemeinsamen Dienst im Jungvolk und bei den Jungmädels fanden sich auch in der Freizeit die Kinder aus unterschiedlichen sozialen Schichten beim Spielen zusammen. Bei der Hitlerjugend zählte die Leistung und nicht die Herkunft.

Die gefährlichen Abarten des Spielens
Die nationalsozialistische Erziehung, gepaart mit dem natürlichen Drang zum Abenteuer, hatte besonders am Ende des Krieges gefährliche Folgen. Es waren 13 und 14- jährige Jungs, die im Spätherbst 1944 mit einer Unterschrift vom Jungvolkjungen zum Volkssturmmann "befördert" wurden, es waren besonders die älteren Jungs, die nach Kriegsende entgegen allen Warnungen und Verboten, Fundmunition einsammelten, öffneten, und Handgranaten ausprobierten.
Es waren Jungs, die 8 Jahre später wegen illegalem Waffenbesitz für mehrere Jahre ins Gefängnis mussten.

Der über viele Kanäle gegangene politische Einfluss der Nazis hatte auch bei den Kindern zu bösen Reaktionen geführt. Ich selbst, Jahrgang 1931, war damals mitten drin im Kessel der großen Gefahren.
Ich bin heute stolz darauf, dass ich geholfen habe, den Geist des deutschen Faschismus aus den Köpfen der Menschen zu verdrängen, auch im Interesse des friedlichen Spiels unserer Kinder.