Bemühungen um einen Telefonanschluss
In der Zeit der politischen Wende 1989 / 90 hagelte es an kritischen Außerungen über die
Verhältnisse in der DDR. Vieles Gesagte und Geschriebene war zutreffend, viele
Behauptungen sprachen für Unkenntnis oder sie entsprangen der Fantasie. Es stimmte z.B.,
dass das Telefonnetz auch in Dresden technisch veraltet war und dass mit der verfügbaren
Zahl an Anschlüssen nur ein Bruchteil des gestiegenen Bedarfes gedeckt werden konnte.
Ich war aber fast erschrocken, als mir eine junge Frau provozierend sagte: "Wer in der
DDR ein Telefon hatte, der war bei der Stasi". Ja - ich hatte einen privaten
Telefonanschluss, aber ich war nicht bei der Stasi. So kam ich plötzlich in den Verdacht,
politisch "belastet" zu sein, Wie ich aber tatsächlich zum privaten Telefonanschluß kam,
das kann ich noch heute anhand meiner gesammelten Unterlagen belegen.
In den ersten 20 Jahren meines Berufslebens hatte ich kein Telefon und brauchte es auch
nicht unbedingt. Es gab in den Wohngebieten öffentliche Fernsprecher. Dort mußte man
sich manchmal anstellen aber man kam damit zurecht. Im übrigen tat ich das, was
hunderttausend Bürger auch taten: Ich benutzte in besonderen Fällen das volkseigene
Telefon im Betrieb. An Verwandte und Bekannte schrieb ich Karten und Briefe, wie das
zu alten Zeiten auch üblich war.
Im Jahre 1975 übernahm ich den Aufbau und die Leitung eines wissenschaftlich-technischen
Zentrums im Bereich des Ministeriums für Glas- und Keramikindustrie und
verlegte deshalb den Wohnsitz der Familie nach Dresden. Mein Schreibtisch stand in
Radebeul, meine Arbeitsorte befanden sich aber im Territorium zwischen Ilmenau,
Weißwasser und Schwerin. Jede Woche war ich mehrere Tage unterwegs. Die Reisen in
der DDR verlängerten sich zunehmend mit der Kürzung der Benzinkontingente seit
Anfang der achtziger Jahre. Das hatte zur Folge, dass ich oft bei Antritt einer Dienstreise
die genaue Rückkehr nicht voraussagen konnte. So wurde meine Wohnung zum Hotel. Der
"Leiterin" meiner privaten "Rezeptiön" konnte ich auch nicht im Nachhinein mitteilen
wann ich mein "gebuchtes Zimmer" wieder beziehen werde, denn sie hatte kein Telefon.
In unserem Dresdner Wohnblock in der Riesaer Straße hatte nur eine Mieterin -eine ältere
Dame- einen Telefonanschluß. Weil sie in unserem Haus wohnte, lebte ich in der
Hoffnung, ich könnte doch bei dringendem Bedarf über ihr Telefon mit meiner Frau in
Verbindung treten. Ich habe es aber nur einmal versucht. Weil ich den Hausfrieden nicht
noch einmal stören wollte, unterließ ich es.
- Nach einer persönlichen Vorsprache beim Fernmeldeamt beantragte ich am 01.10.1978
einen Hauptanschluß. Am 11.10.1978 teilte mir das Amt mit, dass auf absehbare Zeit
keine Realisierbarkeit besteht, weil die verfügbaren Kapazitäten nicht ausreichen.
- Der für mich zuständige stellvertretende Minister, Heinrich Meier, schrieb nach
mehreren erfolglosen Versuchen, mich an den Wochenenden zu erreichen, am
28.07.1979 dem Leiter des Fernmeldeamtes Dresden und bat um eine Lösung des
Problems. Mit Schreiben vom 06.09.1979 teilte der Leiter des Femmeldeamtes dem
Minister mit, dass die Dringlichkeit meines Telefonanschlusses anerkannt wird, aber
die technischen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Mein Antrag werde aber
vorgemerkt.
- Am 11.09.1980 erinnerte ich das Fernmeldeamt erneut an die Dringlichkeit meines
Antrages. Am 21.10.1980 wurde mir mitgeteilt, dass die Realisierung meines Antrages
erneut geprüft werde. "Bis dahin bitten wir Sie, sich zu gedulden." - so lautet der letzte
Satz.
- Ein längerer Brief des Fernmeldeamtes erreichte mich am 06.02.1984. Der Verfasser,
Inspektor Pochert, verwies auf die fehlenden finanziellen und technischen Mittel und
schrieb: "Aus diesem Grund kann bei der Realisierung vorliegender Anträge nur auf
Veränderungen bestehender Anschlüsse zurück gegriffen werden." "Ihr Antrag bleibt
weiterhin vorgemerkt".
- Im März 1985 starb unsere Wohnungsnachbarin. Uns wurde bekannt, dass sich im
Wohnblock mehrere Mieter für den Telefonanschluß der Verstorbenen interessierten.
Um diese Gelegenheit nicht zu verlieren, schrieb ich am 20.03.1985 an das
Fernmeldeamt, erinnerte an meinen Antrag vorn 01.10.1978 und informierte (pietätlos?)
über das Ableben unserer Nachbarin.
Aufgrund meines Briefes hatte das Fernmeldeamt den Anschluß der ehemaligen
Nachbarin gesperrt.
- Am 01.04.1985 bekam ich vom Fernmeldeamt ein längeres Formblatt zugeschickt, das
ich ausgefüllt zurück schickte und am 18.04.1985 erteilte mir die Deutsche Post die
Genehmigung für einen Telefonanschluß. In einem Schreiben wurde ich informiert,
dass mein Anschluß ein Gemeinschaftsanschluß (Zweieranschluß) sei. Weil es für
beide Partner nur eine Leitung gäbe, könnten beide nicht gleichzeitig sprechen und sich
gegenseitig auch nicht erreichen. Das Fernsprechgeheimnis bleibe gewahrt und die
Berechnung der Gebühren erfolge getrennt voneinander.
Der Freude über das nach 6
1/
2 Jahren erreichte Ziel folgte noch ein herber Nachschlag. In
unserem Eifer, die "Tauben nicht verfliegen zu lassen", hatten wir nicht bedacht, dass die
Tochter der verstorbenen Nachbarin den Haushalt auflösen mußte und dafür das Telefon
gebrauchen konnte. So entlud sich vor unserer Korridortür der ungebremste Zorn der
Erbin.
Unsere Erklärung und unser Angebot, bei uns kostenlos telefonieren zu können, nahm sie
aus Protest nicht an. Wie wichtig das Telefon für uns war und wie hartherzig sich doch ihre
Mutter verhalten hatte als ich sie aus Thüringen bat, meine Frau zu verständigen, das ging
sie natürlich nichts an.
Das moderne Leben zwingt zur Nutzung von modernen technischen Mitteln, auch zur
Informationsübertragung, deren Existenz die Menschheit über Tausende von Jahren nicht
kannte. Ob es aber unbedingt notwendig ist, auch im öffentlichen Verkehrsmittel oder im
Supermarkt in der Warteschlange vor der Kasse zu telefonieren bezweifle ich noch immer.