Dresden
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Wohnraumlenkung in der DDR
Wohnraumlenkung in der DDR

- Auszugweise Wiedergabe eines Zeitzeugenberichtes von Herrn Wolfgang Roder, Dresden -

Im Mai 1945 kehrte ich nach Verwundung und Lazarettaufenthalt nach Dresden zurück. Unser Haus und unser Hab und Gut war am 13. Februar 1945 dem Bombenangriff auf Dresden zum Opfer gefallen. Ich hatte dennoch Glück, ich fand meine Mutter und meine Schwester in einer Notunterkunft außerhalb von Dresden wieder.
Bei einer Baufirma bekam ich in Dresden Arbeit und unserer Familie wurden, nach längerer Wartezeit, in der inneren Neustadt zwei kleine teilmöbilierte Zimmer zugewiesen. Meiner Mutter überließen wir das vorhandene Bett, meine Schwester und ich schliefen, in Decken gehüllt, auf dem harten Fußboden.
Eines Tages wurde ich angesprochen, beim demokratischen Aufbau mitzuhelfen. Aus sozialer Verantwortung erklärte ich mich zur ehrenamtlichen Mitarbeit im örtlichen Wohnungsausschuss bereit. Die Stadtverwaltung Klotzsche übemahm die erste allgemeine Einweisung in die Arbeitsrichtlinien der Wohnraumbewirtschaftung. Danach erfolgten Schulungen über das Wohnungsmietrecht, die Wohnraumlenkung und über die Arbeit des Wohnungsausschusses.
Durch die Kriegseinwirkungen waren auf dem Gebiet der DDR 620.000 Wohnungen total und weitere 200.000 Wohnungen teilweise zerstört. In den erhalten gebliebenen Wohnungen, deren Zustand allgemein schlecht war, mussten folglich 20% mehr Menschen untergebracht werden. Damit jeder Bürger einen angemessenen Wohnraum erhalten konnte, musste der vorhandene Wohnraum staatlich verteilt werden. Die gesetzliche Grundlage dafür war das Alliierte Kontrollratsgesetz Nr. 18, vom 8.3.1946. Den deutschen Behörden oblag die Aufsicht über die Wohnungsämter, Dienststellen und Ausschüsse. Den Wohnungsausschüssen war die Aufgabe zugeordnet, die Behörden beim Vollzug des Gesetzes zu beraten.
Die Wohnungsämter wurden verpflichtet, in Zusammenarbeit mit den Bauämtern, polizeilichen Meldebehörden und Standesämtem jeden Wohnraum zu erfassen und eine Wohnungskartei anzulegen - und aktuell zu halten.
Anträge auf Wohnungszuweisung waren schriftlich an die Behörde zu richten. Die Anträge wurden geprüft und im Wohnungsausschuss beraten.
Zum Ausschuss gehörten:
1. Beauftragte des FDGB (der Gewerkschaft)
2. Personen aus dem Bauwesen und Mitarbeiter des Wohnungsamtes
3. Beauftragte der politischen Parteien, Vertreter der Fachausschüsse des Parlamentes
Zum Wohnungsausschuss musste auch ein gebührender Anteil an Frauen gehören.

Der Wohnungsausschuss führte im Rathaus wöchentlich Sprechstunden durch und wurde oft von mehr als 40 Bürgern aufgesucht. Eingegangene Anträge bedurften oft der Prüfung vor Ort, mit der jeweils zwei Mitglieder des Ausschusses beauftragt wurden.
In den Ausschusssitzungen, die alle zwei Wochen stattfanden, wurden die Ergebnisse der Prüfungen ausgewertet, Dringlichkeiten festgelegt und Anordnungen für einen Wohnungstausch vorbereitet.
Wir Mitglieder des Wohnungsausschusses waren in unserer Freizeit viele Stunden unterwegs. Für unseren guten Willen, beim Mildern der Wohnungsnot zu helfen, mussten wir oft die Unzufriedenheit der Bürger "abfangen". Besondere Probleme ergaben sich aus der gemeinsamen Küchenbenutzung, aus den großen Wohnraumflächen der alten Villen und aus den Heizungsbedingungen, besonders bei Etagenheizung.

Ein Beispiel lässt die Härte dieser ehrenamtlichen Arbeit erahnen:
Eine Familie, 2 Erwachsene und 2 Kinder, bewarb sich um die Zuweisung einer ihnen bekannten Wohnung mit 32 qm Wohnfläche.
Entsprechend den gesetzlichen Richtlinien standen nach der Sanitätsnorm für Erwachsene je 8 qm und für Kinder (von 1 - 14 Jahren) je 4 qm Wohnfläche zu. Der Anspruch der Familie betrug also 24 qm Wohnraum. Bei Zuweisung dieser Wohnung von 32 qm bestand folglich eine Unterbelegung von 8 qm. Für größere Familien wurden solche Wohnungen aber dringend gebraucht. Wir freuten uns, dass es möglich wurde, das bestehende Problem durch einen Wohnungstausch zu lösen.
So versuchten wir bei unserer Wohnungsvermittlung immer, die Bürger nach den damaligen Maßstäben gerecht zu behandeln. Wie die Menschen im zerbombten Dresden einst gewohnt haben, das kann sich heute kaum noch jemand vorstellen.